Viele Mütter erleben Geburten, die sie stark belasten.

Viele Mütter erleben Geburten, die sie stark belasten. Schnelle Unterstützung fehlt häufig. Dabei ist sie dringend nötig, um negative Folgen für Familien zu verhindern. Eine erste Anlaufstelle ist seit zwei Jahren das Hilfetelefon nach schwieriger Geburt.

Bonn, 28. Juni 2022.
„Die Geburt während Corona war sehr schlimm für mich. Da war das Hilfetelefon super. Das Gespräch hat mir sehr gut getan“, schreibt eine Mutter an das Hilfetelefon nach schwieriger Geburt. Im Juni vor zwei Jahren startete das in Deutschland einmalige Hilfsangebot mit dem Ziel, Menschen nach einer schwierigen und belastenden Geburtserfahrung eine leicht erreichbare Anlaufstelle zu bieten. Die Hotline ist zweimal in der Woche mittwochs von 12 bis 14 Uhr und donnerstags von 19 bis 21 Uhr unter der Rufnummer 0228 9295 9970 erreichbar.

In der Zeit von Mai 2021 bis April 2022 führten die Fachberaterinnen des Hilfetelefons 203 Gespräche durch. Das sind 55 Anrufe mehr als im ersten Jahr.

Am häufigsten meldeten sich Mütter. Die meisten erlebten die Geburt ihres Kindes problematisch, weil sie vom Klinikpersonal über medizinische Eingriffe nicht angemessen aufgeklärt wurden. Als besonders belastend empfinden Mütter medizinische Eingriffe wie das sogenannte Kristellern, bei dem Ärztin oder Hebamme das Kind aus dem Bauch heraus drückt. Auch ein Kaiserschnitt, die Anwendung der Saugglocke oder der Dammschnitt zur Beendigung der Geburt belasten Mütter sehr.

„Die Anzahl der Anrufe steigt, unser Hilfsangebot wird sehr gut angenommen“, sagt Katharina Desery, Vorstand beim Verein Mother Hood. „Das zeigt, wie dringend Menschen Unterstützung brauchen, wenn sie die Geburt ihres Kindes belastet.“

Desery hat das Hilfetelefon nach schwieriger Geburt gemeinsam mit Paula Diederichs von der International Society for Pre- and Perinatal Psychology and Medicine, ISPPM, gegründet.

Was brauchen betroffene Familien? Was sind die Ursachen für schwierige Geburtserfahrungen?

„Eine belastende Geburt kann das Leben von Mutter, Kind und der ganzen Familie sehr lange negativ beeinträchtigen“, sagt Paula Diederichs. „Das findet in der Öffentlichkeit wenig Beachtung, Unterstützung für Mütter fehlt oft.“ Diederichs leitet in Berlin-Mitte eine SchreiBabyAmbulanz und das WIKK-Weiterbildungsinstitut für Ressourcen- und Körperorientierte Krisenbegleitung. Das Institut bietet Weiterbildungen zur Krisenbegleiterin für Schwangerschaft, Geburt und früher Kindheit an.

Familien fehlt es nach einer schwierigen Geburtserfahrung an leicht zugänglicher Unterstützung. Ihre Bedürfnisse sind dabei vielfältig. Therapieformen, wie Traumatherapie oder Psychotherapie, können genauso helfen, wie eine Beratung bei einer Schreibabyambulanz oder eine Familienberatung. Die Beraterinnen des Hilfetelefons informieren, welche Therapieformen in Frage kommen können. Anrufende können sich an ihrem Wohnort die passende Unterstützung suchen.

„Die Erfahrungen der Mütter zeigen, dass ein Zusammenhang zwischen schlecht begleiteten Geburten und psychischer Belastung von Familien besteht“, erklärt Katharina Desery. „Wir brauchen dringend Verbesserungen ind er geburtshilflichen Versorgung.“

Personalmangel in Geburtskliniken und das oft fehlende Verständnis für die psychischen und körperlichen Folgen von unzureichender Geburtsbegleitung beeinflussen das Wohlbefinden der Mutter und letztendlich auch des Kindes negativ. Werden Gebärende zum Beispiel nicht kontinuierlich gut betreut und über medizinische Eingriffe aufgeklärt, fühlen sie sich ausgeliefert, gestresst oder übergangen. „Diese Gefühle verschwinden nicht einfach mit dem Baby auf dem Arm“, sagt Paula Diederichs.

Was Anruferinnen über das Hilfetelefon sagen oder schreiben:

„Endlich jemand, der mich nicht verurteilt oder sagt: Ach, das ist doch gar nicht schlimm, das wird wieder. Ich habe einige Tipps bekommen und die werde ich auch umsetzen. Danke, dass es solch eine Möglichkeit gibt, dass man einfach offen sprechen kann und sich auch verstanden fühlt!“

„Dieses Gespräch hat mich gestärkt. Ich fühle mich definitiv besser, bin auch auf Vorschläge eingegangen und hab sie umgesetzt.“

„Es hat mir so gut getan, das alles in einem anonymen Gespräch loszuwerden. Ohne dass das Gesagte relativiert wurde.“

„Ich habe mich sehr gut beraten und vor allem verstanden gefühlt.“

„Ich konnte das aussprechen, was ich anderen so nicht erzählen würde.“

Hintergrund:

Die Vereine Mother Hood und ISPPM schätzen, dass rund 20 bis 50 Prozent der Frauen die Geburt ihres Kindes als schwierig, belastend oder sogar traumatisch erleben.

Therapeutinnen wie Viresha J. Bloemeke, der Psychoanalytiker Ludwig Janus oder der Psychiater Karl Heinz Brisch weisen schon länger auf den Zusammenhang zwischen einer schwierigen Geburtserfahrung und Folgen für Mutter, Kind und die Familie als Ganzes hin. Dazu zählen Bindungsstörungen, Ängstlichkeit im Umgang mit dem Kind, Angst vor einer weiteren Schwangerschaft sowie postpartale Depressionen bis hin zur posttraumatischen Belastungsstörung.

Kinder reagieren auf belastende Geburtserfahrungen beispielsweise mit dem sogenannten Schreibabysyndrom, Schlafproblemen sowie psychischen und motorischen Auffälligkeiten.

Über das Hilfetelefon nach schwieriger Geburt

Das Hilfetelefon nach schwieriger Geburt ist ein Projekt der Bundeselterninitiative Mother Hood e.V. und der International Society for Pre- and Perinatal Psychology and Medicine, ISPPM e.V. Die Idee zu diesem in Deutschland einmaligen Angebot entstand, als die ehemalige Präsidentin der ISPPM, Paula Diederichs, und die Vorständin von Mother Hood e.V., Katharina Desery, sich über die Zustände in der geburtshilflichen Versorgung sowie fehlende Unterstützungsangebote austauschten. Mit dem Hilfetelefon haben sie eine erste Anlaufstelle geschaffen. Am Hilfetelefon sind ehrenamtlich tätige Fachfrauen aus der ISPPM, die alle spezielle Aus- oder Weiterbildungen haben im Bereich Geburt und Traumasensibilität. Es besteht seit Juni 2020.

Die Hotline ist erreichbar unter der Rufnummer 0228 9295 9970. Beratungszeiten sind mittwochs von 12 bis 14 Uhr und donnerstags von 19 bis 21 Uhr (www.hilfetelefon-schwierige-geburt.de).

Pressekontakt: Katharina Desery, Telefon +49 (0)163 7274735,
E-Mail: presse@hilfetelefon-schwierige-geburt.de

Mother Hood e. V.
Villenstraße 6
53129 Bonn

Über Mother Hood e.V.:

Bei Mother Hood e.V. setzen sich Eltern bundesweit für eine gute Versorgung von Mutter und Kind vor, während und nach der Geburt ein. Durch Kreißsaalschließungen, Personalmangel in Kliniken und Lücken in der Hebammenversorgung ist eine sichere Geburtshilfe nicht mehr überall gegeben. Zu den Hauptforderungen von Mother Hood gehören unter anderem die Eins-zu-Eins-Betreuung durch eine Hebamme und die Wahrung des Rechts auf die freie Wahl des Geburtsortes.

Über ISPPM e.V.:

Die International Society for Pre- and Perinatal Psychology and Medicine, ISPPM, beschäftigt sich mit der frühesten Phase der menschlichen Entwicklung, beginnend vor der Empfängnis bis nach der Geburt. Sie begreift diesen prä- und perinatalen Lebensabschnitt als untrennbar verknüpft mit der Mutter und ihrer Umwelt. In der ISPPM kommen zahlreiche Professionen zusammen, um auf der Grundlage authentischer wissenschaftlicher Methoden die Bedeutung der prä- und perinatalen Erfahrungswelt zu ergründen und dieses Wissen in die Praxisfelder rund um Schwangerschaft, Geburt und Therapie umzusetzen sowie gesellschaftspolitisch Einfluss zu nehmen.