Eine Geburt stürzt viele Gebärende in eine persönliche Krise, wenn die Erlebnisse zu belastend waren. Studien bestätigen, dass bis zu ein Drittel der Mütter von der Geburt ihres Kindes traumatisiert sind. Drei Jahre nach Start des Hilfetelefons nach schwieriger Geburt besteht weiterhin ein großer Bedarf nach Unterstützung.

Bonn/Niedernhausen, 21. Juni 2023. ”Ich wusste nicht wohin mit meiner Sprachlosigkeit. Es fühlte sich einfach nicht so an, wie es meine Familie, meine Freunde von mir erwarteten. Die rosafluffige Wolke war einfach nicht da. Erst durch das Hilfetelefon habe ich verstanden, dass ich die Geburt meines Kindes verarbeiten muss und dass meine Gefühle normal sind.“ So beschreibt eine Mutter ihre Situation nach der Geburt ihres Kindes. Helfen konnte ihr das Hilfetelefon nach schwieriger Geburt, welches nun bereits seit drei Jahren zur wichtigen Anlaufstelle für Betroffene geworden ist (www.hilfetelefon-schwierige-geburt.de).

Das einmalige Hilfsangebot hat das Ziel, Menschen nach einer schwierigen und belastenden Geburtserfahrung eine leicht erreichbare Anlaufstelle zu bieten. Die Hotline ist zweimal in der Woche mittwochs von 12 bis 14 Uhr und donnerstags von 19 bis 21 Uhr unter der Rufnummer 0228 9295 9970 erreichbar.

”Frauen leiden zum Beispiel sehr darunter, wenn bei der Geburt ihres Kindes Eingriffe ohne ihr Einverständnis passieren.”, berichtet Katharina Desery, Vorstand beim Verein Mother Hood und Initiatorin des Angebots. Das bestätigt auch die Auswertung der anonymisierten Fragebögen, die zu Statistikzwecken erhoben werden. Demnach fühlten sich 52 Prozent der Anrufenden nicht gut aufgeklärt, 50 Prozent nicht aktiv in den Geburtsvorgang einbezogen. 39 Prozent konnten einem medizinischen Eingriff gar nicht zustimmen. Jede vierte Frau (25 Prozent) erlebte einen medizinischen Eingriff, obwohl sie diesen abgelehnt hat.

Zu den am häufigsten angegebenen Eingriffen (Mehrfachnennung möglich) gehört die Geburtseinleitung,  die Anwendung der Saugglocke, der Kaiserschnitt und der Kristeller-Handgriff, bei dem das Kind mit Hand oder Unterarm aus dem Bauch der Gebärenden herausgedrückt wird.

Betroffene Familien schnell und leicht zugänglich unterstützen

”Ich habe mich lange nicht getraut, anzurufen, weil ich dachte, ich sei ja bloß traurig wegen meiner schwierigen Geburt und anderen würde es mit ihren traumatischen Erfahrungen viel schlimmer gehen. Nach einem eurer Aufrufe habe ich mich dann doch mal getraut und das Gespräch war so, so hilfreich! Ich kann mein Geburtserlebnis seitdem viel besser annehmen. Danke dafür!“

Die mittlerweile 24 Beraterinnen des Hilfetelefons informieren, welche Therapieformen in Frage kommen können. Anrufende werden ermuntert, sich an ihrem Wohnort die passende Unterstützung zu suchen. Dazu gehören bspw. Therapieformen wie Traumatherapie oder Psychotherapie. Diese können genauso helfen, wie eine Beratung bei einer Schreibabyambulanz oder eine Familienberatung. 84 Prozent der Anruferinnen gaben an, sich so eine weitere Unterstützung holen zu wollen.

9 von 10 Anruferinnen empfanden das Gespräch mit dem Hilfetelefon hilfreich, 7 Prozent etwas hilfreich, ergab die Auswertung der Fragebögen.

Was Anruferinnen über das Hilfetelefon sagen oder schreiben:

”Es war das erste Mal, dass ich meine Geschichte erzählen konnte und das tat einfach nur gut!“

”Ich bin jetzt 60 Jahre alt und habe mein erstes Kind mit 35 bekommen. Eine Geburt, die mich traumatisierte hat… Schön, dass es euch gibt und Mütter jetzt eine Anlaufstelle haben, um mit diesen traumatisierenden Erfahrungen zurechtzukommen.“

 ”Dieses Gespräch hat mich gestärkt. Ich fühle mich definitiv besser, bin auch auf Vorschläge eingegangen und möchte sie umsetzen.“

 ”Endlich jemand, der mich nicht verurteilt oder sagt: Ach, das ist doch gar nicht schlimm, das wird wieder. Danke, dass es solch eine Möglichkeit gibt, dass man einfach offen sprechen kann und sich auch verstanden fühlt!“

Zum Hintergrund:

Studien 

Studien belegen, dass bis zu 30 Prozent der Frauen die Geburt ihres Kindes als traumatisch erleben. Therapeutinnen wie Viresha J. Bloemeke oder Psychoanalytiker wie Ludwig Janus oder Karl Heinz Brisch weisen schon länger auf den Zusammenhang zwischen einer schwierigen Geburtserfahrung und Folgen für Mutter, Kind und die Familie als Ganzes hin. Dazu zählen Bindungsstörungen, Ängstlichkeit im Umgang mit dem Kind, Angst vor einer weiteren Schwangerschaft sowie postpartale Depressionen bis hin zur posttraumatischen Belastungsstörung. Kinder reagieren auf belastende Geburtserfahrungen beispielsweise mit dem sogenannten Schreibabysyndrom, Schlafproblemen sowie psychischen und motorischen Auffälligkeiten.

Quelle Traumatisierung: Kranenburg L, Lambregtse-van den Berg M, Stramrood C. Traumatic Childbirth Experience and Childbirth-Related Post-Traumatic Stress Disorder (PTSD): A Contemporary Overview. Int J Environ Res Public Health. 2023 Feb 4;20(4):2775. doi: 10.3390/ijerph20042775. PMID: 36833472; PMCID: PMC9957091.

Quelle Gewalt/ psychische Gesundheit: Leinweber, Julia, Jung, Tina, Hartmann, Katharina and Limmer, Claudia. „Respektlosigkeit und Gewalt in der Geburtshilfe – Auswirkungen auf die mütterliche perinatale psychische Gesundheit“ Public Health Forum, vol. 29, no. 2, 2021, pp. 97-100. https://doi.org/10.1515/pubhef-2021-0040

Patientenrechtegesetz

Laut Bürgerlichem Gesetzbuch (BGB) muss die zu behandelnde Person vor jeder medizinischen Maßnahme zwingend aufgeklärt werden und dieser zustimmen.

Medizinische Eingriffe ohne oder mit unzureichender Aufklärung stellen strafrechtlich eine Körperverletzung dar.

Quelle Gesetz: Paragraf 630d, f, https://www.gesetze-im-internet.de/bgb/__630e.html

Quelle Strafrecht: https://www.aerzteblatt.de/archiv/188591/Aufklaerungspflicht-Teil-2-Strafbarkeit-von-Aerzten-bei-unzureichender-Patientenaufklaerung .

Über das Hilfetelefon nach schwieriger Geburt:

Das Hilfetelefon nach schwieriger Geburt ist ein Projekt der Bundeselterninitiative Mother Hood e.V. und der International Society for Pre- and Perinatal Psychology and Medicine, ISPPM e.V. Die Idee zu diesem in Deutschland einmaligen Angebot entstand, als die ehemalige Präsidentin der ISPPM, Paula Diederichs, und die Vorständin von Mother Hood e.V., Katharina Desery, sich über die Zustände in der geburtshilflichen Versorgung sowie fehlende Unterstützungsangebote für Frauen und ihre Familien austauschten. Mit dem Hilfetelefon haben sie eine erste Anlaufstelle geschaffen. Es besteht seit Juni 2020.

Pressekontakt: Katharina Desery, Telefon +49 (0)163 7274735,
E-Mail: presse@hilfetelefon-schwierige-geburt.de

Über Mother Hood e.V.:

Bei Mother Hood e.V. setzen sich Eltern bundesweit für eine gute Versorgung von Mutter und Kind vor, während und nach der Geburt ein. Durch Kreißsaalschließungen, Personalmangel in Kliniken und Lücken in der Hebammenversorgung ist eine sichere Geburtshilfe nicht mehr überall gegeben. Zu den Hauptforderungen von Mother Hood gehören unter anderem die Eins-zu-Eins-Betreuung durch eine Hebamme und die Wahrung des Rechts auf die freie Wahl des Geburtsortes (www.mother-hood.de).

Über ISPPM e.V.:

Die International Society for Pre- and Perinatal Psychology and Medicine, ISPPM, beschäftigt sich mit der frühesten Phase der menschlichen Entwicklung, beginnend vor der Empfängnis bis nach der Geburt. Sie begreift diesen prä- und perinatalen Lebensabschnitt als untrennbar verknüpft zwischen Mutter und Kind und ihrer Umwelt. In der ISPPM kommen zahlreiche Professionen zusammen, um auf der Grundlage authentischer wissenschaftlicher Methoden die Bedeutung der prä- und perinatalen Erfahrungswelt zu ergründen und dieses Wissen in die Praxisfelder rund um Schwangerschaft, Geburt und Therapie umzusetzen sowie gesellschaftspolitisch Einfluss zu nehmen. (www.isppm.de)